Category Archives: delusion

sie sollen verschwinden

“Meine Kollegin Asli Erdogan wird in einem türkischen Gefängnis gefoltert. Sie wird sich nie wieder davon erholen, wenn sie es überhaupt überlebt. Sie wacht in einem See aus Urin in ihrem Bett auf. Der rechte Führer in Österreich scheint auch von Urin besessen zu sein, aber anders, in froher Erwartung sozusagen. Er propagiert Abschiebungen von abgewiesenen Asylanten mit Militärflugzeugen, wo sie sich “anurinieren” können, soviel sie wollen, es würde ihnen nichts nützen, sie müßten halt weg, irgendwie kriegen wir die schon raus, ganz sicher, versprechen wir der Bevölkerung, die nur darauf gewartet hat, daß sie einer für etwas Kleingeld versichert. Diese Entwürdigung scheint aus einer Besessenheit zu kommen, daß Menschen ins Vakuum eines Seins gesogen werden (a victim in a vacuum, nennt es Thomas Pynchon, was Besseres fällt mir nicht ein), in dem sie verschwinden sollen, egal, wie, sie werden vom Nichts ins Nichts gerissen, das ein selbsternannter, nein, ein gewählter rechter Parteiführer oder ein Diktator, ein zurecht gewählter, einer, den sie sich zurechtgewählt haben, erzeugt hat.”

Elfriede Jelinek – Für meine Kollegin Asli Erdogan

Geisterzug

Wien soll ab 2023 eine vollautomatische U-Bahnlinie bekommen. Man hat dazu keine Meinung, aber das Magazin bzw. Emil Fuchs hatte dazu bereits 2004 interessante Überlegungen:

Geisterzug

Marginalie zum Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen

In der mondänen Stadt Paris gibt es eine Métrolinie welche führerlos fährt. Für diesen Zug mit der Liniennummer 14 ist der ermüdende Beruf des Métro-Führers abgeschafft, während er für alle anderen Linien noch besteht. Im Vergleich mit den anderen Métros ist es ein Genuß, mit diesem Zug zu fahren. Die Bahn fährt, ohne zu rucken, gleichmäßig beschleunigend und ebenso gleichmäßig wieder abbremsend. Sie ist im Gegensatz zu den anderen Linien nie wirklich überfüllt, weil genügend Züge eingesetzt werden, auf die sich die Fahrgäste verteilen können. Während der Fahrt kann man an den Zugenden in die Schwärze des Tunnels schauen: Solche Möglichkeit der Kontemplation eröffnet sich, weil es keine schmutzigen Führerhäuschen gibt, welche die Sicht behindern könnten. Putziger Anblick, wenn dann ein Zug aus der Gegenrichtung kommt: Ebenfalls führerlos, aber dennoch vollbesetzt mit Menschen. Durch die herrschende Raum-Zeit-Organisation jagend warten sie in diese oder jene Richtung schauend darauf, daß dieser oder jener Bahnhof erreicht werde, damit sie dieses oder jene Ziel, in einem jeweils auf diese oder jene Art vorgegebenen Quantum der Zeit erreichen können, die ihnen in ihrer Zeiteinheit Tag zur Verfügung steht.

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Energy & Folklore statt Eros & Amore

Die Erotik-Messe „Eros und Amore“ tingelt alljährlich durch Österreich und Deutschland. Die Veranstaltungs-Website kündigt Niveau, Qualität und die Erfüllung erotischer Träume an. Hehre Versprechungen, die wir einer Realitätsprüfung unterzogen haben.

Wer sich schon einmal in die Shopping City Süd begeben musste, dem wird die architektonische Zumutung am Beginn des Einkaufszentrums nicht entgangen sein: die Pyramide Vösendorf. Sonst begegnet man diesem Bauwerk innerhalb der Wiener Stadtgrenze nur beim Anblick etwas schmuddelig wirkender neonfarbener Plakate, die den Gürtel und diverse Autobahnausfahrten säumen. Mindestens zweimal im Jahr bewerben diese in großen Lettern ein Event mit dem schlichten Titel „Erotikmesse“, das eben dort stattfindet. Nach Jahren der plakatförmigen Konfrontation mit dieser Veranstaltung können wir der Versuchung nicht mehr widerstehen. An einem verregneten Sonntag wagen wir uns zu „Eros und Amore“ in die Pyramide. Dort angekommen springen uns als erstes die Käse- und Brezelstände im Eingangsbereich ins Auge. Ihr autochthoner Charme konterkariert das Konzept des Messezentrums, mittels Kunstfelsen und Palmen ein tropisches Ambiente zu schaffen. Vor lauter Käse von Erotik erstmals keine Spur.

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wo ich war soll wir werden

Ein Gastbeitrag des Genossen Döhnermann über die Wiener Hasenfußfraktion der Neuen Rechten, erschienen in der aktuellen Ausgabe der Unique.

„Wir wissen was wir sind und was wir nicht sind.“1

Sie versuchen mit einem Bumerang aus Dollfuß-Altbeständen postmoderner Beliebigkeit und kapitalistischer Globalisierung den Garaus zu machen. Die Identitären in Österreich wollen die neue rechte APO werden, wissen aber selber nicht so richtig wer sie sind.

wurstidentitätDass die verfügbaren Therapieangebote in Anbetracht der gesellschaftlichen Lage nie und nimmer ausreichen können, die Fragmentierten und Leidenden vor dem Wahnsinn ihrer täglich reproduzierten Hölle zu retten, ist weniger individuelle Erkenntnis als allgemeine Gewissheit. Wenn sich daher eine wackere Gruppe von Gutmenschen auf ihre Fahne schreibt, sich den „anerzogenen Neurosen“, „Entwurzelungspsychosen“ und „Ich-Schwächen“ der Menschen anzunehmen, bringt man ihr trotz dieses Begriffspotpourri erst einmal Interesse entgegen. Berufen sie sich dann auch noch auf die Psychoanalyse und sei dies bloß in den universitären Verfallsformen der Entwicklungspsychologie, daher auf Erik H. Erikson, meint man schon fast sich ungläubig die Augen reiben zu müssen. Doch dann geht der Blick weg vom Anspruch, gleitet auf den dazugehörigen Namen und hält kurz inne. Denn es kommt einem das abgedroschene Sprichwort in den Sinn, welches da besagt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Wie anders ließe sich vom Standpunkt der Psychoanalyse aus auf eine Namensgebung reagieren, wie sie in Die Identitären kulminiert und direkt aus dem Unbewussten zu springen scheint. Was muss ein Individuum ertragen haben, dass es seiner selbst so offenkundig unsicher ist, dass es nur mehr aus einer Beschwörung einer um ihrer selbst Willen bestehenden Gemeinschaft eben jene besagte Identität ziehen kann.

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Zwischen Reproduktion und Regression

Nachfolgend einmal mehr ein Unique-Beitrag, hier freilich vor dem brachialen Einsatz von Ästhetikhäcksler und fehlerschleudernder Korrekturmaschine:

Ist das Proseminar zu Ende und die Vorlesung überstanden beginnt für die Studierenden die entschleiernde Qual: Die Reproduktionsarbeit.

Alles ist Reproduktion. Sei es der Abwasch, der Konsum des sonntäglichen Tatort oder der schlechte Sex auf der Clubtoilette. Wer nicht an der Universität den Wert seiner Ware Arbeitskraft steigert oder dazu gezwungen ist diese bereits während des Studiums konkret zu veräußern der reproduziert: Daheim, am Tresen oder im Schwimmbad wird der Mensch wieder fit gemacht für den kapitalistischen Arbeitsmarkt bzw. dessen universitäres Anlernstadium.

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Punk & Wahn 2011